ScioraGruppe. Die Fuori Kante etwas links der Bildmitte links des hellen Ausbruchs |
Mitte Juli, lange Tage, Vollmond und dazu stabiles warmes Wetter. Zeit für die ganz grossen Projekte. Leider schneits unter der Woche bis weit runter und noch mehr leider, finde ich niemanden, der Sonntag und Montag Zeit hat. Schliesslich einige ich mich mit Valery auf einen einundhalbtäger im Bergell. Ziel: die Fuorikante Integral an der Sciora die Fuori. Ein Pause Extrem Klassiker mit 24 Seillängen bis 6c.
Nach 3h Fahrt kommen wir gerade noch rechtzeitig im Bondascatal an, um im letzten Tageslicht einen Blick auf die Scioragruppe zu werfen. Der verbiebene Neuschnee hält sich in Grenzen und wir bereiten das Freibiwak für eine viel zu kurze Nacht. Um zehn nach drei (!) gehts am nächsten Morgen los. Der Weg ist ordentlich steil so dass wir die 800Hm zur Sciorahütte in nur 1h20 hinter uns bringen. Noch keiner wach, aber Wasser und Toiletten gibts. Weglos und durch das grosse Geröll eher mühsam gehts weiter Richtung Kante. Im kurzen aber steilen Schneefeld vor dem Einstieg sind wir froh die Leichtsteigeisen dabei zu haben. Um 6 beginnen wir mit der Kletterei. Das erste Drittel ist fast plaisirmässig ausgebaut und mit maximal 5b auch nicht besinders schwierig. Wir klettern am laufenden Seil mit T-Blocs und bringen die nominal 7 Seillängen in einer Stunde hinter uns. Etwas Blockgelände und eine plattige 5c bringen uns an den Beginn der grossen Verschneidung, welche sich als klassisch schwerer 5er entpuppt und doch etwas Anstrengung kostet.
Es ist ziemlich kalt, die sonne verfehlt uns an unserer Nordwestkante natürlich auch und für einen laut Meteoforecast windstillen Tag, pfeift es uns ganz schön um die Ohren. Je höher wir kommen desto kälter und tauber werden Hände und Füsse. Zum Problem wird das spätestens als wir uns den Schlüssellängen nähern. Die Fuori Kante hat hier im wahrsten Sinne des Wortes eine Kante seitdem in den 60er Jahren der halbe Berg weggebrochen ist. Zurück geblieben ist ein 2 Meter breiter verdammt glatter Plattenrücken an dessen rechter Seite eine wie mit dem Lineal gezogene Kante die Grenze zum Abgrund vermittelt.
Valery bekommt eine plattige 6a+, die ich selbst im Nachstieg mit tauben Fingern recht schwer findet. Dann stehen wir vor der Schlüssellänge, einer grifflosen 6c Platte.
Dass die Erstbegeher und wohl auch die meisten heutigen Kletterer hier auf A0 umstellen, zeigt allein schon die Hakendichte. Alle anderthalb Meter kommt ein Haken - leider fast ausschliesslich 30 jährige Stichtbohrhaken, die zwar stabil genug sind sich daran hoch zu ziehen, aber einen Vorstiegssturz nur mit viel Glück halten. Valery winkt dankend ab. Im Gegensatz zu ihm habe ich gottseidank noch nicht so viel über diese Art Haken gelesen, und traue mir den Vorstieg eigentlich schon zu. Wenns nur nicht so verdammt kalt wäre. ich ziehe die Schuhe kurz aus und wärme mir die Zehen. Hilft leider auch nur ein bisschen. Also los gehts. Die Kletterei ist eigentlich extrem elegant. Rechts die Kante, links nur Reibungstritte. Immer knapp an der offenen Tür gewinne ich langsam an Höhe. Nach 5 Metern kommt ein sanierter Bohrhaken, der einzige der Seillänge aber immerhin. Nach 10 Metern kommt rechts der Kante der bisher einzige grössere Tritt auf dem man mit dem ganzen Fuss stehen kann. Ich stelle mich abwechselnd mit links und rechts drauf und versuche irgendwie wieder Gefühl in die tauben Finger und Zehen zu bekommen. Unter mir Bricht der Berg 100 Meter senkrecht ab.
Die folgenden Meter sind die Schlüsselstelle der gesamten Tour. Hier muss von der scharfen Kante rechts 3m horizontal nach links traversiert werden, reine Reibungskletterei so gut wie ohne Griffe. Das ganze etwa einen Meter über dem letzten Stichtbohrhaken. Wenn man hier fällt, reisst man unter Umständen den Stichtbohrhaken raus und die darunter dann im Anschluss gleich auch noch. Ein klassischer Reissverschluss. Und damit wär die Route dann erstmal nicht mehr absicherbar und für die meisten sogar unbegehbar. Zum Glück ist es zu kalt, um über so etwas gross nachzudenken. Auf kleinsten Reibungstritten schiebe ich mich über die Platte. Ein Meter über mir kommt ein Absatz. Ein letzter Aufsteher auf gar nix, dann hab ich die Hand auf dem Band und mantle hoch. Fast geschafft. Selten hab ich mich so sehr über einen Fingerriss gefreut, wie über den nun kommenden. Endlich keine Platte mehr. Ein paar Fingerklemmer dann ein guter Handjam, und etwas leichter zum Stand. Jihaa. Onsight.
Die nächste Seillänge 6a+ bietet spektakuläre athletische Kletterei am Rissbogen unter einem Überhang und dann über diesen hinweg zurück auf die Kante. Sehr geil. Damit haben wir die Route eigentlich in der Tasche. Simul-kletternd überwinden wir die letzten 5 SL im Bereich 4-5b bis rauf ans Ende der Kante. 6h für die 24 Seillängen. Eigentlich sehr coole Kletterei, vor allem wegen der Position, auch wenn nur auf drei Länge wirklich fordernd. Und wegen der Kälte nur mit eingeschränktem Genussfaktor. Wir binden uns los und machen einen kurzen Abstecher auf den Gipfel, um das geniale Bergeller Panorama endlich zu genießen. Dann gehts an den Abstieg.
Wir halten uns genau ans Abstiegstopo und sind seilfrei im 2-3 er Gelände dann auch zügig in der Scharte am grossen Turm. Zum Problem wird allerdings die westseitige Traverse unter diesem, da es wohl kürzlich einen größeren Ausbruch gegeben hat. Sandig und mit riesigen losen Blöcken im exponierten Dreiergelände. Richtig heikel das ganze und eine Frage der Zeit bis hier etwas passiert, vor allem falls mehrere Leute am Berg sind. Irgendwann ist auch das überstanden und es geht plattig hinunter zum Pass vor dem Torre Innominata von wo wir 6 Mal über die Via Noemi abseilen. Noch ein Schneefeld und etwas mühsames Blockgelände bis zur Hütte und 800Hm später sind wir dann um halb sechs tatächlich am Auto zurück. 14h, 2000hm und 24 Seillängen… ein ausgefüllter Tag!
Fingerriss Ausstieg aus der 6c Schlüssellänge |
atlethische 6a+ |
Der Mittelteil der Fuori Kante im Profil. Cengalo und Badile im Hintergrund |