Sonntag, 25. August 2013

Tacul - Gervasuttipfeiler (900Hm, TD, 6a)

Der erste August kommt, und das schöne Wetter hält an. 3 Tage Grand Beau ohne Gewittergefahr. Zeit für die ganz grosse Touren. Javi ruft auf der Cab de Leschaux an und erkundigt sich nach den Verhältnissen am Walkerpfeiler. Diese seien laut Hüttenwirtin wegen dem vielen Schnee äusserst schlecht, erst eine Seilschaft dieses Jahr... Enttäuschung macht sich breit. Fast bin ich geneigt 4 Tage Rennradfahren zu gehen, als wir uns doch noch auf ein Ausweichziel verständigen: den Gervasutti-Pfeiler am Mont Blanc du Tacul. Bisschen kürzer als der Walker, bisschen leichter, ost- statt nordseitig und natürlich ein easy Zu- und Abstieg. Alles in allem also ein gutes Testpiece.

Mittwoch abends gondeln wir also auf die Midi, mit dem Plan irgendwo dort zu biwakieren. Wir verbringen den Abend draussen auf dem Grat beim Teetrinken und diskutieren mögliche Biwakplätze. Als uns ein polnisches Paar erzählt, dass sie in der Station schlafen würden, und dass das schon ok wäre, können wir der Versuchung auch nicht wiederstehen. Natürlich kommen nach ein paar Minuten die beiden Seilbahnmitarbeiter, die nachts oben bleiben, und bedeuten uns die Station zu verlassen und entweder auf dem Col du Midi zu biwakieren oder in der Cosmique-Hütte zu schlafen. Wir sagen gar nix und überlassen die Konversation unserem polnischen Leidensgenossen. Dieser beteuert auf Englisch mit authentischem osteuropäischen Akzent, dass sie kein Geld für die Hütte oder eine Biwakausrüstung haben. Ich halte meine Carbonschuhe unter der Bank versteckt und nicke nur betroffen. Es funktioniert. Wir bekommen die Erlaubnis ausnahmsweise da zu bleiben, wenn wir vor 4 Uhr morgens weg seien.

Nach einer recht schlaflosen Nacht gehts um halb 4 los und wir sind um 5 am Pfeiler. Vergeblich suchen wir einen Einstieg rechts, den unser Topo aus den 80ern andeutet. Schliesslich finden wir links eine dünne Brücke über den Schrund und dann sogar eine kleine Platform zum Schuhe wechseln. Um 6 Uhr sind wir beide am ersten Stand, in Kletterschuhen, ready to go.  Nun kommen auch die beiden Polen und steigen hinter uns ein.
Die unteren 500m (ca 14 SL) des Pfeilers sind trocken und super Fels. Risse bis 5c, dazwischen aber auch ein paar 4er, die wir am laufenden seil mit Tiblocs gehen. Ich steige alles vor um schneller zu sein, da Javi tendentiell mehr Sicherungen legt. Wir kommen gut voran und sind bald an der Schlüsselstelle, einer nordseitigen 5c/A0. 
Die Kletterei ist weniger das Problem, als die Ausrichtung. Alle Risse sind mit gefrorenem Pulverschnee gefüllt und müssen erstmal befreit werden, schnell haben wir kalte Hände und nasse Schuhe. Obwohl das Topo einige SL nordseitig angibt, klettern wir zurück auf die sonnige Pfeilerkante und dort weiter nach oben. Diese Variante (ca 6a) ist klettertechnisch schwieriger als dir Originalführe aber immerhin trocken. Unten auf der Nordseite hören wir zwei Franzosen, die sich durch das brüchige Mixedgelände nach oben kämpfen. Ein paar SL freuen wir uns darüber, die Sonnenvariante gewählt zuhaben, bis wir schliesslich doch wieder auf die Nordseite abgedrängt werden und unendlich viel Zeit verlieren. Senkrechte zugefrorene Handrisse mit nassen Kletterschuhen, dann auch noch ein Krampf im Bizeps... schliesslich stelle ich auch auf A0 um. Dann eine Pulverschneewächte zurück auf den Pfeiler, über die wir uns irgendwie hochrobben. Irgendwann wirds etwas leichter und wir können zumindest die Schuhe wechseln. Ich habe mein mentales Tief erreicht als ich auf einem verschneiten Tritt wegrutsche und ins Seil falle und 1 Minute später einen vermeintlichen Klemmblock auf mich zukippen sehe. Optionen? Abseilen, Heli... nee, nicht wirklich. Nach der Abseilstelle, sage ich Javi, dass er nun erstmal mit Vorsteigen dran sei.
Tatsächlich ist der schwierige Teil aber geschafft. Noch ein verschneiter 4er Kamin, dann 3er Gelände im Couloir neben dem roten Turm. Wir können endlich wieder parallel gehen und Zeit gut machen. Auch der sehr scharfe Grat zum Vorpgipfel geht easy und wir sind um 19Uhr nach 13h Pfeiler oben. Die letzte Seilbahn von der Midi ist nun eh weg und wir könnens gemütlich angehen. Dehydriert wie wir beide sind, ist an hohes Tempo eh nicht mehr zu denken. Dank der Autobahn vom Tacul gehts zumindest bis zum Col du Midi recht schnell. Die wirkliche Probe ist dann aber der 200Hm Gegenanstieg zur Seilbahnstation. Fast unwirklich scheint es wie wir uns die letzten Meter den Grat hochschleppen und dann auch noch die Sonne irgendwo über dem französischen Flachland untergeht.
Wir war das nochmal mit dem Biwakverbot? Javi sagt, ihm sei‘s egal, er könne eh nicht laufen, geschweige irgendwo hingehen, falls sie ihn dazu auffordern würden. Na dann. Ich freue mich besonders auf den Wasserhahn. Als ich um 22Uhr vom Schlafplatz noch einen letzten Blick auf den Tacul werfe, sehe ich die suchenden Strinlampen der beiden Polen etwa 5SL unter dem Ausstieg. Puh.

Nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht, gondeln wir am Freitag morgen hinunter nach Cham. Während wir im Cafe und ich später im Zug nach Zürich sitze, stelle ich immer wieder verwundert fest, wie viel man nach einem solchen Tag trinken kann, ohne ein einziges Mal auf die Toilette zu müssen. Wir sind auf jeden Fall gewaltig froh, nicht in den Walker eingestiegen zu sein. Was Effizienz im schwierigen Mixedgelände und allgemein Kondition und Akklimatisierung anbelangt, müssen wir da wohl noch ein bisschen üben.

Facts:
Topo auf http://www.camptocamp.org/routes/54575/fr/mont-blanc-du-tacul-pilier-gervasutti
 ganz OK. natürlich zu klein bei 40 SL. Einstieg eher links des Pfeilers.

Im unteren Teil folgt man wenns geht dem Pfeiler und weicht nur ab und zu auf die Seiten aus. Logische Linienführung, sehr schöne Kletterei bis 5c-6a (Chamonix Bewertung). Stände ganz am Anfang gebohrt, dann oft an NH, gut aufzurüsten. Teilweise ein paar NH an den Schlüsselstellen.

Im Mittelteil geht die Originalroute rechts (nordseitig) in 4er Mixed-Gelände. Variante: dort nach einer SL wieder auf den Pfeiler zurück, und ca 3SL gerade hoch (bis 6a aber trocken). Dann aber 2 heikle oft vereiste SL (5+) nordseitig bis man wieder auf die Originalroute stösst. Sobald man oben ins Couloir links des roten Turms wechselt wirds leichter und man kommt im oberen Teil schnell voran.

Material: 50m Doppelseil (Einfachseil ginge, aber wegen Seilreibung ungünstiger), Keile, komplettes Set Cams bis C4 2, viele lange Express, evtl Tiblocs, Kletterschuhe, 1 Eisgerät pP. Sonst: go light and fast

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