Sonntag, 27. April 2014

Marinelli Couloir - durch die höchste Wand der Alpen


Mal wieder ist die Wettervorhersage gut. Zwar hätte ich eigentlich mehr Lust auf Eisklettern in Cham, aber der schlechte Winter dort, und die super Schneelage in Zermatt, sprechen doch eher für Steepskiing im Wallis. Ich schlage Javi vor, das Marinelli Couloir durch die Monte Rosa Ostwand zu versuchen. Eine 2500Hm Steilabfahrt durch die höchste Wand der Alpen. Normal wir diese Abfahrt der Superlative später im Jahr gemacht, da dann weniger Blankeis zu erwarten ist. Mit so viel Schnee im Süden dieses Jahr sollte es aber eigentlich schon im April machbar sein. Ausserdem liesse sich so ganz bis Macugnaga auf 1400 abfahren, ohne wie im Mai üblich noch 2h tragen zu müssen. Die Line lässt sich mit Photos und Betas ziemlich gut auschecken, und ich bin zuversichtlich die Route auch zu finden.  Die vorherrschenden Bedingungen sind eine andere Frage. Javi ruft bei Heliski Macugnaga an und erfährt, dass die Einfahrt von der Zumsteinspitze wegen Seracstuden nicht möglich wäre, dass aber die Direktroute vom Silbersattel schon einmal gemacht worden wäre dieses Jahr. Go.
Bleibt also noch die Frage des Zustiegs, da wir beide keinen Bock haben, zum wiederholten Mal einfach nur auf die Monte Rosa Hütte zu laufen. Uns bleiben 2 ½ Tage Schönwetter, und wir legen uns einen ambitionierten Plan zurecht. Tag 1: Klein Matterhorn mit Überschreitung Castor zum Rif. Quintino Sella. Tag 2: Überschreitung Lyskamm mit Abfahrt zur Monte Rosa Hütte Tag 3: Silbersattel und Abfahrt Marinelli.
Wegen Party-Verpflichtungen muss ich Samstagabend noch in Zürich feiern gehen, und treffe somit ohne wirklich viel geschlafen zu haben Sonntagmorgen in Visp ein. Vom Zug nach Zermatt aus versuchen wir wiederholt in Quintino Sella zu reservieren und erreichen niemanden. Langsam beschleicht uns der Verdacht, dass die Hütte zu ist. Merde. Ohne Kocher etc. wird’s wohl nix. Obwohl wir schon reichlich spät dran sind, wird unser Plan gezwungener Massen noch ambitionierter, in dem wir Tag 1 und 2 zusammenfassen wollen. Javi ist skeptisch wegen der Länge der Tour, aber fürs erste setze ich mich durch.
Im Aufstieg zum Castor merke ich aber schon, dass Javi heute nicht ganz fit ist, und erstaunlich lange braucht. Trotzdem gehen wir noch weiter Richtung Lyskamm West. Javi klagt nun sogar über leichte Übelkeit und Kopfschmerzen… Höhenkrankheit. Alright, dann also über den Zwillingsgletscher nach unten. Die Abfahrt durch die Gletscherbrüche ist spektakulär. Auf 3100 traversieren wir 10m neben den anderen Spuren nach links, ich bin 5m hinter Javi, als er plötzlich mit einem Schrei im Boden verschwindet, und ein 2m2 grosses Loch hinterlässt. Oh Verdammt. Ich bleibe wie erstarrt stehen und versuche etwas zu hören. Ganz leiss lässt sich ein Ruf aus der Tiefe vernehmen. Ein Glück. Das schlimmste ist also nicht eingetreten. Nun beginne ich mich umzusehen, und mir läuft es kalt den Rücken runter. Ich stehe in einem Labyrinth aus Kreuzspalten, die meisten tückisch mit 30cm Schnee verdeckt. Auch Javis Spalte zieht bedrohlich in meine Richtung. Ich fange an mit dem Eisgerät zwischen meinen Füssen zu graben und stosse nach 30cm auf Blankeis. 2 Eisschrauben rein und erst mal selbst sichern. Puh. Javi hat das Seil im Rucksack. Zum Glück haben wir auf dieser Tour zusätzlich eine 60m Kevlarschnur dabei, um im Marinelli abseilen zu können. Ich befestige diese am Schraubenstand und gehe gesichert Richtung Spalte. Nun höre ich Javi rufen. Er sein 15m tief unten, aber unverletzt, und hätte auch einen Ropeman dabei. Kein Heli. Ich befestige den Schaufelstil am Seilende und werfe ihn nach unten. Dann gehe ich zurück zum Stand hänge mich ins Seil um die Schrauben zu entlasten. Und warte. Immer wieder ruckt es am Seil, Javi klettert wohl hoch. Während ich also mit Seilzug auf dem Boden liege, löst sich in der Lyskamm Nordwand rechts von mir eine Eislawine, die sich innerhalb von Sekunden zur grössten Staublawine verwandelt, die ich je gesehen habe. Das ganze Tal des Grenzgletschers ist von der Wolke eingehüllt. Oh Mann. An der Monte Rosa Hütte gegenüber hätte es von der Druckwelle alle Ski umgehauen, sagt man uns später. Auch am wesentlich näheren Westgipfel hängen bedrohliche Seraks. Ich erinnere mich an den albernen Film Vertical Limit, in dem der Protagonist zu seinem Partner in die Spalte springt, um der Lawine zu entgehen. Vielleicht doch nicht so unrealistisch.
Nach etwa 1h vernehme ich deutliches Schnaufen und Fluchen aus dem Loch vor mir. Irgendwann sehe ich wie ein Pickel von unten versucht das Loch zu vergrössern. Und schliesslich kommt ein Kopf aus dem Schnee. Minuten später wälzt sich Javi erschöpft und gezeichnet über den Rand. Ohne Ski. Super, jetzt müssen wir doch den Heli rufen, schiesst es mir durch den Kopf, als er grinst, und weiter am Seil zieht, bis auch die Ski aus der Spalte auftauchen. Ausser einem verstauchten Daumen ist ihm nichts passiert. 15 Meter sei er in die immer enger werdende Spalte hinunter, bis er irgendwann in auf einem Zwischenboden gestoppt wäre. Vorne und hinten weitere schwarze Löcher. Uiuiui. Ganz behutsam hätte er sich an einer Schraube gesichert, dann die Ski abgenommen, und sei mit nur einem Ropeman, stufenschlagend an der 6mm Reepschnur hochgeklettert.
Ich biete ihm an sofort nach Zermatt und nach Hause zu fahren, aber er will lieber auf die Hütte. Angeseilt tasten wir uns also durch das Spalten Labyrinth des Zwillingsgletschers. Noch nie habe ich ein solch mulmiges Gefühl auf einem Gletscher gehabt. Pünktlich zum Abendessen sind wir auf der schönen neuen Monte Rosa Hütte. Unsere Story macht die Runde und es gibt sogar einen Schnaps auf den Schock.
Am nächsten Morgen gehen wir mit vielen anderen um 4 los Richtung Dufourspitze. Es ist saukalt und die Finger wollen gar nicht mehr warm werden. Immerhin ist die Spur gut. Wir sind nicht übermässig schnell und brauchen 5h zum Silbersattel. Hier knallt schon die Sonne in die Ostwand, es ist fast windstill. Während Javi sich mit einer Gruppe Basken vergnügt, renne ich solo noch schnell auf den Nordend. Fett expo, aber mit 2 Eigeräten gut machbar. Der Tiefblick in die Ostwand ist gewaltig. Grosse Teile des Marinelli Couloirs sind einsehbar, und man sieht 3 Spuren von Heliskiern. Der Schnee sieht gut aus. Am Nordend Gipfel bekomme ich von ein paar Bernern sogar etwas kalte Pizza. Deluxe. Später erfahre ich dass es sich um Thömel handelte. Immer wieder lustig wenn man Leute deren Pseudonym man aus dem Gipfelbuch Foum kennt, irgendwann trifft.
Um 10 Uhr beginnen wir die Abfahrt. Erst 50m abklettern, dann kommt doch tatsächlich die eingerichtete Abalokov Abseilstelle, auf die wir wegen der Heliskier spekuliert hatten. Noch einmal zahlt sich die Mitnahme von 2 Seilen aus, da wir easy 40m abseilen können, und nach weiteren 15m Absteigens auf einer von den Heliskiern ausgehobenen Plattform unsere Ski anziehen können. 4400, noh 2200Hm Wand liegen vor uns.
Den Anfang macht ein 200m 50° Couloir, die Schlüsselstelle. Javi fährt als erster und ist schnell hinter den Felsen verschwunden. Ich tue mir am Anfang ungewohnt schwer, da der Schnee doch schon etwas weich ist, und nicht so richtig halten will. Zudem komme ich rechts kurz einmal ins Blankeis durch. Nach ein paar Schwüngen passts aber und ich heize Javi hinterher. Es folgen 300Hm 45° offene Hänge, 300Hm 45° Couloir neben den Seraks und dann die Traverse ins eigentliche 40° 1000Hm Marinelli Couloir. Der Schnee ist der Hammer. 20cm Powder der links schwer, rechts aber sogar einigermassen locker ist. Obwohl wir mittlerweile grosse Big Mountain Turns fahren, kommt man dem Ende des Couloirs gefühlt kaum näher. Die Dimensionen dieser Wand sind unvorstellbar. Immer wieder hält man an, schnauft und staunt. Wahnsinn. Irgendwann wird der Schnee dann doch schwerer, ein kleiner Sprung über den Bergschrund und man traversiert nach rechts aus dem Couloir hinaus. Es folgt der flache Belvedere Gletscher und schliesslich ein Skipiste, bis wir in Pecetto direkt neben der Bar die Ski abschnallen. 3100Hm Abfahrt liegen hinter uns. 40min fürs die Wand und nochmal 40 für den Rest. Unglaublich. Da wir den Bus nach Domodossola um 10 min verpasst haben, bleiben uns gemütliche 3h Wartezeit mit Bier und Espressi.
  






















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen