Mal wieder ist die Wettervorhersage gut. Zwar hätte ich
eigentlich mehr Lust auf Eisklettern in Cham, aber der schlechte Winter dort,
und die super Schneelage in Zermatt, sprechen doch eher für Steepskiing im Wallis.
Ich schlage Javi vor, das Marinelli Couloir durch die Monte Rosa Ostwand zu
versuchen. Eine 2500Hm Steilabfahrt durch die höchste Wand der Alpen. Normal
wir diese Abfahrt der Superlative später im Jahr gemacht, da dann weniger
Blankeis zu erwarten ist. Mit so viel Schnee im Süden dieses Jahr sollte es
aber eigentlich schon im April machbar sein. Ausserdem liesse sich so ganz bis
Macugnaga auf 1400 abfahren, ohne wie im Mai üblich noch 2h tragen zu müssen.
Die Line lässt sich mit Photos und Betas ziemlich gut auschecken, und ich bin
zuversichtlich die Route auch zu finden.
Die vorherrschenden Bedingungen sind eine andere Frage. Javi ruft bei
Heliski Macugnaga an und erfährt, dass die Einfahrt von der Zumsteinspitze
wegen Seracstuden nicht möglich wäre, dass aber die Direktroute vom
Silbersattel schon einmal gemacht worden wäre dieses Jahr. Go.
Bleibt also noch die Frage des Zustiegs, da wir beide keinen
Bock haben, zum wiederholten Mal einfach nur auf die Monte Rosa Hütte zu
laufen. Uns bleiben 2 ½ Tage Schönwetter, und wir legen uns einen ambitionierten
Plan zurecht. Tag 1: Klein Matterhorn mit Überschreitung Castor zum Rif.
Quintino Sella. Tag 2: Überschreitung Lyskamm mit Abfahrt zur Monte Rosa Hütte
Tag 3: Silbersattel und Abfahrt Marinelli.
Wegen Party-Verpflichtungen muss ich Samstagabend noch in Zürich
feiern gehen, und treffe somit ohne wirklich viel geschlafen zu haben
Sonntagmorgen in Visp ein. Vom Zug nach Zermatt aus versuchen wir wiederholt in
Quintino Sella zu reservieren und erreichen niemanden. Langsam beschleicht uns
der Verdacht, dass die Hütte zu ist. Merde. Ohne Kocher etc. wird’s wohl nix.
Obwohl wir schon reichlich spät dran sind, wird unser Plan gezwungener Massen
noch ambitionierter, in dem wir Tag 1 und 2 zusammenfassen wollen. Javi ist
skeptisch wegen der Länge der Tour, aber fürs erste setze ich mich durch.
Im Aufstieg zum Castor merke ich aber schon, dass Javi heute
nicht ganz fit ist, und erstaunlich lange braucht. Trotzdem gehen wir noch
weiter Richtung Lyskamm West. Javi klagt nun sogar über leichte Übelkeit und
Kopfschmerzen… Höhenkrankheit. Alright, dann also über den Zwillingsgletscher
nach unten. Die Abfahrt durch die Gletscherbrüche ist spektakulär. Auf 3100
traversieren wir 10m neben den anderen Spuren nach links, ich bin 5m hinter
Javi, als er plötzlich mit einem Schrei im Boden verschwindet, und ein 2m2
grosses Loch hinterlässt. Oh Verdammt. Ich bleibe wie erstarrt stehen und
versuche etwas zu hören. Ganz leiss lässt sich ein Ruf aus der Tiefe vernehmen.
Ein Glück. Das schlimmste ist also nicht eingetreten. Nun beginne ich mich
umzusehen, und mir läuft es kalt den Rücken runter. Ich stehe in einem
Labyrinth aus Kreuzspalten, die meisten tückisch mit 30cm Schnee verdeckt. Auch
Javis Spalte zieht bedrohlich in meine Richtung. Ich fange an mit dem Eisgerät
zwischen meinen Füssen zu graben und stosse nach 30cm auf Blankeis. 2
Eisschrauben rein und erst mal selbst sichern. Puh. Javi hat das Seil im
Rucksack. Zum Glück haben wir auf dieser Tour zusätzlich eine 60m Kevlarschnur
dabei, um im Marinelli abseilen zu können. Ich befestige diese am
Schraubenstand und gehe gesichert Richtung Spalte. Nun höre ich Javi rufen. Er
sein 15m tief unten, aber unverletzt, und hätte auch einen Ropeman dabei. Kein
Heli. Ich befestige den Schaufelstil am Seilende und werfe ihn nach unten. Dann
gehe ich zurück zum Stand hänge mich ins Seil um die Schrauben zu entlasten.
Und warte. Immer wieder ruckt es am Seil, Javi klettert wohl hoch. Während ich
also mit Seilzug auf dem Boden liege, löst sich in der Lyskamm Nordwand rechts
von mir eine Eislawine, die sich innerhalb von Sekunden zur grössten
Staublawine verwandelt, die ich je gesehen habe. Das ganze Tal des
Grenzgletschers ist von der Wolke eingehüllt. Oh Mann. An der Monte Rosa Hütte
gegenüber hätte es von der Druckwelle alle Ski umgehauen, sagt man uns später. Auch
am wesentlich näheren Westgipfel hängen bedrohliche Seraks. Ich erinnere mich
an den albernen Film Vertical Limit, in dem der Protagonist zu seinem Partner
in die Spalte springt, um der Lawine zu entgehen. Vielleicht doch nicht so
unrealistisch.
Nach etwa 1h vernehme ich deutliches Schnaufen und Fluchen
aus dem Loch vor mir. Irgendwann sehe ich wie ein Pickel von unten versucht das
Loch zu vergrössern. Und schliesslich kommt ein Kopf aus dem Schnee. Minuten
später wälzt sich Javi erschöpft und gezeichnet über den Rand. Ohne Ski. Super,
jetzt müssen wir doch den Heli rufen, schiesst es mir durch den Kopf, als er
grinst, und weiter am Seil zieht, bis auch die Ski aus der Spalte auftauchen. Ausser
einem verstauchten Daumen ist ihm nichts passiert. 15 Meter sei er in die immer
enger werdende Spalte hinunter, bis er irgendwann in auf einem Zwischenboden
gestoppt wäre. Vorne und hinten weitere schwarze Löcher. Uiuiui. Ganz behutsam
hätte er sich an einer Schraube gesichert, dann die Ski abgenommen, und sei mit
nur einem Ropeman, stufenschlagend an der 6mm Reepschnur hochgeklettert.
Ich biete ihm an sofort nach Zermatt und nach Hause zu
fahren, aber er will lieber auf die Hütte. Angeseilt tasten wir uns also durch
das Spalten Labyrinth des Zwillingsgletschers. Noch nie habe ich ein solch
mulmiges Gefühl auf einem Gletscher gehabt. Pünktlich zum Abendessen sind wir
auf der schönen neuen Monte Rosa Hütte. Unsere Story macht die Runde und es
gibt sogar einen Schnaps auf den Schock.
Am nächsten Morgen gehen wir mit vielen anderen um 4 los
Richtung Dufourspitze. Es ist saukalt und die Finger wollen gar nicht mehr warm
werden. Immerhin ist die Spur gut. Wir sind nicht übermässig schnell und
brauchen 5h zum Silbersattel. Hier knallt schon die Sonne in die Ostwand, es
ist fast windstill. Während Javi sich mit einer Gruppe Basken vergnügt, renne
ich solo noch schnell auf den Nordend. Fett expo, aber mit 2 Eigeräten gut
machbar. Der Tiefblick in die Ostwand ist gewaltig. Grosse Teile des Marinelli
Couloirs sind einsehbar, und man sieht 3 Spuren von Heliskiern. Der Schnee
sieht gut aus. Am Nordend Gipfel bekomme ich von ein paar Bernern sogar etwas
kalte Pizza. Deluxe. Später erfahre ich dass es sich um Thömel handelte. Immer
wieder lustig wenn man Leute deren Pseudonym man aus dem Gipfelbuch Foum kennt,
irgendwann trifft.
Um 10 Uhr beginnen wir die Abfahrt. Erst 50m abklettern,
dann kommt doch tatsächlich die eingerichtete Abalokov Abseilstelle, auf die
wir wegen der Heliskier spekuliert hatten. Noch einmal zahlt sich die Mitnahme
von 2 Seilen aus, da wir easy 40m abseilen können, und nach weiteren 15m
Absteigens auf einer von den Heliskiern ausgehobenen Plattform unsere Ski
anziehen können. 4400, noh 2200Hm Wand liegen vor uns.
Den Anfang macht ein 200m 50° Couloir, die Schlüsselstelle.
Javi fährt als erster und ist schnell hinter den Felsen verschwunden. Ich tue
mir am Anfang ungewohnt schwer, da der Schnee doch schon etwas weich ist, und
nicht so richtig halten will. Zudem komme ich rechts kurz einmal ins Blankeis
durch. Nach ein paar Schwüngen passts aber und ich heize Javi hinterher. Es
folgen 300Hm 45° offene Hänge, 300Hm 45° Couloir neben den Seraks und dann die
Traverse ins eigentliche 40° 1000Hm Marinelli Couloir. Der Schnee ist der
Hammer. 20cm Powder der links schwer, rechts aber sogar einigermassen locker
ist. Obwohl wir mittlerweile grosse Big Mountain Turns fahren, kommt man dem Ende
des Couloirs gefühlt kaum näher. Die Dimensionen dieser Wand sind
unvorstellbar. Immer wieder hält man an, schnauft und staunt. Wahnsinn.
Irgendwann wird der Schnee dann doch schwerer, ein kleiner Sprung über den
Bergschrund und man traversiert nach rechts aus dem Couloir hinaus. Es folgt
der flache Belvedere Gletscher und schliesslich ein Skipiste, bis wir in Pecetto
direkt neben der Bar die Ski abschnallen. 3100Hm Abfahrt liegen hinter uns.
40min fürs die Wand und nochmal 40 für den Rest. Unglaublich. Da wir den Bus
nach Domodossola um 10 min verpasst haben, bleiben uns gemütliche 3h Wartezeit
mit Bier und Espressi.
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