Cordier Pfeiler – 5+
Nach wochenlangen
Junggesellenabschieden, Hochzeiten, Chinareisen und Ringbandbeschwerden muss
dringend eine richtig grosse Tour her. Zwar sitze ich die ganze Woche über
verjetlagged in Hongkong, grosse Pläne kann man aber trotzdem machen. Mal
wieder fassen wir den Walker Pfeiler ins Auge, und mal wieder schneits ein paar
Tage vorher kräftig rein. Ausserdem wird das Wetter erst ab Sonntagmittag gut
und ich kann maximal noch den Montag anhängen. Schweren Herzens disponieren wir
um. Moritz will an den abenteuerlichen Tödi Nordgrat. Ich hab wenig Lust auf
eine Tour, bei der man schon vorher weiss, dass es mehr Qual als Genuss wird,
zumal wenn sie nicht schon ein jahrelang gehegtes Projekt ist. Schliesslich
einigen wir uns auf den Cordier-Pfeiler an der Aiguille de Grandes Charmoz, der
neben 25SL auch noch guten Fels verspricht. Noch bin ich etwas enttäuscht,
wegen der geringen Schwierigkeiten aber auf die Schnelle kommen wir auf keine
bessere Idee.
Mittags um 13 Uhr
kommen wir nach längerer Anfahrt auf der Midi Mittelstation an. Die Sonne kommt
gerade raus, das Timing passt also noch für eine westseitig ausgerichtete
Halbtagestour. Wir deponieren unsere Rucksäcke auf irgendeiner Moräne und
stapfen an den Einstieg der Route 'L'eau rance d'Arabie' am Pilier Rouge der Blaitiere Westwand. Eine Seilschaft
seilt gerade zu uns ab, und berichtet von nassen Rissen ab der fünften Länge. Tja
Jungs, ihr wart auch zu früh dran. Wir klettern trotzdem mal los, und hoffen
dass 2h Sonne reichen, das bisschen Wasser zu trocknen.
1.SL – 6b, plattig,
nicht allzu steil mit seichtem Fingerriss. Moritz steigt souverän vor.
2.SL- 6a, bisschen
piazzen, bisschen Handriss
3.SL – 6a, erst mal
ein etwas wackelige Querung nach rechts, in der Moritz (aus Langeweile?) noch
einen 7a Kreuzzug einbaut, anstatt kurz abzuklettern. Dann aber ein sehr geiler
Doppelriss bis zum Stand.
4.SL – 5c, schuppige
nicht allzu schwere Kletterei
5.SL – 6b, die Crux
Länge, an der die anderen beiden umgedreht haben. Die Bolts stecken recht eng,
und der Crux Move ist wirklich verdammt schwer: steile Platte mit sehr kleinen
Tritten, und mehr oder weniger grifflos. In der Schweiz wäre das eine 7a, und
auch hier klettern wohl die meisten Leute die Stelle A0. So auch Moritz, der
sich nicht lang aufhalten will. Ich kippe im Nachstieg nach hinten weg, als ich
versuche auf den nicht vorhandenen Tritten zu balancieren. Nochmal sauber
hinstehen. Schliesslich per Dynamo an einen kleinen Griff, geschafft.
6.SL – 6a, fetter
einschüchternder Überhang, aber ich wage mich mal ran. Die paar nassen Stellen
lassen sich gut umgehen, und die Griffe sind gross. Dadurch wird’s eine
athletische Toplänge wie in der Kletterhalle. Danach eine spitzwinklige
Verschneidung weite nach oben, mit spektakulären Bildern. Sehr geil.
7.SL – 5b. Erst der
obligatorische aber nicht allzu schwere Offwidth, für den wir den 4er Cam dabei
haben, dann Auslaufen.
Nach weniger als 3h
sind wir oben. Sehr geile Route nach Chamonix Art. Sanierte Bolts wo man sie
braucht, für alles andere reicht ein Satz Cams. Ohne die Querllwolke wärs noch
wärmer gewesen, aber wenn durch die Wolkenlöcher den Hängegletscher gegenüber
durchblitzt, dann stimmt das Ambiente so oder so. Wir holen unsere Rucksäche
und stolpern über die Blockfelder rüber zur Moräne am Nantillons Gletscher, wo
es einen Deluxe Bivi Platz gibt. Ganz kurz kommt auch nochmal der
Cordier-Pfeiler zum Auschecken durch die Wolken, bevor wir uns dem
Abendrotspektakel mit Mediterraner Pasta widmen.
Um halb 5 geht’s am
nächsten Morgen los. Unten am Nantillons Gletscher sieht man 2 Stirnlampen, die
sich aber noch nicht nach oben bewegen. The race is on. Wir eiern über
wackliges Geröll und hartes Eis gen Einstieg. Zum Glück klemmt im Bergschrund
ein grosser Felsbrocken, so dass man easy an den Fels gelangt.
Um halb sieben
beginne ich die erste Länge, und verklettere mich gleich mal ohne Ende. Ich
versuche mich in den Erstbegeher zu versetzen und folge dem leichtesten Weg über
gestuftes Gelände nach links, wo es auch ein paar alte Schlingen gibt. Die folgende
Verschneidung ist kurz aber leicht überhängend. Ich nehme den schmutzigen
Handriss links davon, auch verdammt steil und mache darüber an Cams Stand.
Moritz kommt nach und beschwert sich im folgenden Vorstieg über bröckelnden und
viel zu schweren Fels. Irgendwas stimmt hier nicht. Mittlerweile haben 2
Spanier den Einstieg erreicht und bedeuten uns nach Blick aufs Topo dass die
Route etwa 20m weiter rechts sei. Erst jetzt erinnere ich mich an Berichte,
laut denen man auf keinen Fall nach links gehen sollte. Verdammt. Moritz
klettert wi4eder ab und quert – was gottseidank gut möglich ist – hinüber zu
richtigen Stand, den er zusammen mit dem spanischen Vorsteiger erreicht. Ich
komme nahc und beginne nun die erste schwere Länge der richtigen Route.
Ein paar fiese
Fingerrisse, die in der Schweiz wohl 6b, hier aber lapidar mit 5+ bewertet
sind. Alles kletterbar, aber der viel zu grosse Rucksack mit Bergschuhen, Steigeisen
und Pickel zieht gewaltig nach unten. Irgendwann spüre ich vor Kälte meine
Finger gar nicht mehr und muss mich kurz ins Seil hängen, bis wieder Blut
fliesst. Sorry an die Spanier. Dann geht’s weiter. Das erste Drittel des
Pfeilers geht in etwa so weiter: jeweils eine 5+ (ha, ha) Länge, mit steilen
Fingerrissen, die ich bekomme, gefolgt von einer grossgriffigen 4er Länge, die
Moritz vorsteigt. Noch sind wir viel zu langsam, aber wenigstens sind die
Finger nun warm. Stände kommen eigentlich alle 20m, und zuerst nutzen wir
dummerweise auch fast jeden. Das zweite Drittel wird auch für mich etwas
leichter und wir machen nun endlich Tempo und gehen die 60m immer voll aus,
teilweise mit kleiner Synchron-Kletter-Einlage. Endlich arbeiten wir auch einen
Vorsprung von über einer Stunde auf die Spanier heraus. Dann kommen wir aufs
gosse Band und treten in die Sonne. Ich hänge noch 3 3er Längen synchron dran,
bis wir kurz rasten.
Jacke aus, Essen
rein, und weiter geht’s. Eine weitere Länge bringt uns an den letzten grossen
Steilaufschwung. Moritz packt die folgende Verschneidung an. Senkrecht, grossgriffig,
traumhaft. Am Salbit wäre das eine 5c … hier lapidar mit 4 bewertet. Und, wer
hätte es gedacht, folgt darauf wieder ein cleaner Fingerriss, den ich bekomme,
un der mal wieder verdammt nach 6b statt 5 aussieht. Allein schon der erste Zug
kostet Überwindung. Sehr hoch auf Gegendruck antreten, 2-3 Piazmoves am
Fingerriss dann links rausstehen, und einen Cam versenken. noch 5m genau so
weiter, dann einen langen abdrängenden Diagonalriss nach oben. Eigentlich super
Moves aber nach 20 SL, und mit dem grossen Rucksack, ist es verdammt schwer.
Ich bekomm meinen ersten Krampf im Unterarm, und fluche nicht schlecht. Nun
bekommt auch Moritz mal eine 5er Länge, die in einem genialen Hand-/Faustriss
bis unter den grossen Überhang geht. Er baut einen provisorischen Stand an
einer Schuppe.
Wie es weiter geht
sind wir uns nicht sicher. Durch den Überhang führt ein 20m langer Offwidth.
Sicher, man kann ab und zu neben dran auf Knobs stehen, aber reicht ein 4er
Cam? 10m weiter links hängen schlingen und NH in einem Fingerriss, leider
getrennt durch eine teile nicht absischerbare Platte. Es ist 3 Uhr und wir
wollten eigentlich um 7 die letzte Seilbahn bekommen. Moritz plädiert für
Abbruch, aber ich kann mich noch nicht entschliessen. Eigentlich trennt uns nur
noch eine schwere SL vom Gipfel. Oh mann. Ich versuche zuerst den Offwidth,
steige wieder ab. Quere dann halb in die Platte, kletter wieder zurück.
Verdammt. Jetzt spielt die Psyche nicht mehr mit. Ist es jetzt dumm in meinem
müden Zustand weiter zu klettern, nicht wissend wie schwer und ob irgendwie
absicherbar? Ist es wert einen Sturz zu riskieren? Ich ringe mit mir selbst,
und stimme schliesslich dem Abbruch zu. Wenn man 22 von 25 Längen klettert,
dann gilt das eigentlich. Und immerhin bekommen wir so vielleicht noch die
Bahn.
Wir seilen 2 mal über die Route und dann nach Süden in Richtung Gletscher ab. Wegspuren bringen uns auf den Nantillon Gletscher. Schuhe wechseln, anseilen. Mittlerweile ist es 6 Uhr. Verdammt das wird nix mit der Bahn. Über den Gletscher geht der Abstieg zügig, dann müssen wir aber den unteren Abbruch über den Rognon umgehen. Steigeisen wieder ab. Erst ein kleiner Weg dann aber wieder abseilen, bis wir schliesslich auf dem unteren Gletscher ankommen. Steigeisen wieder an, Seile weg. Alles kostet gewaltig Zeit und wir sind erst um halb 8 zurück am Biwakplatz. Wir sehen dass die Bahn noch fährt, wahrscheinlich für verspätete asiatische Touristen. aber wie lang noch? Worst case wäre, hinüber zu traversieren, und dann doch nicht mitfahren zu können. Wir (fehl-)entscheiden uns also für den 1300Hm Abstieg nach Chamonix, der sich ohne Ende in die Länge zieht und die ohnehin schmerzenden Muskeln vollends zerstört. Die Seilbahn fährt noch bis fast 9Uhr immer wieder an uns vorbei. Merde. Irgendwann wird es dunkel und es ist 22Uhr als wir am Auto ankommen. Tja, diese Portion Leiden gehört halt zu den grossen epischen Chamonix Touren dazu. Noch stehen uns ja 3 ½ Stunden Heimfahrt bevor.
Bevor Moritz sich
kurz nach Martigny schlafen legt und ich die letzten 2 ½ Stunden allein auf der
Autobahn gegen Blitzer, geschlossene Raststätten und den Sekundenschlaf kämpfe,
haben wir noch genügend Zeit die Tour zu diskutieren:
Erster Fehler: Route
grandios unterschätzt und nicht ernst genommen. Nur 5+. Ha ha.
Zweiter Fehler: Nicht
richtig vorbereitet (wie auch in HongKong), deshalb kein gescheites
ausgedrucktes Topo dabei, zu wenig Betas gelesen, verklettert etc etc.Dritter Fehler: viel zu grosser und noch dazu ungeeigneter (weil Ski-) Rucksack, bei dem ich kaum die Arme heben kann. Im Endeffekt hätten wir auch komplett abseilen können, und dafür die Kletterei wesentlich mehr geniessen.
Aber hey. Das sind
die epischen Touren, an die man sich noch Jahrzehnte erinnert, während die genussvollen
Plaisir Routen in der Erinnerung irgendwann alle ineinander verschwimmen.
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